Frank Bsirske, Chef der Gewerkschaft ver.di, drängt die Politik zu einer großen Rentenreform: 'Es tickt eine soziale Zeitbombe'!
Datum: Sonntag, dem 11. September 2016
Thema: Senioren Rente @ Senioren Home Page


Frank Bsirske zur Rentenreform:

Lüneburg (ots) - Die Gewerkschaften forcieren - ein Jahr vor der Bundestagswahl - ihren Einsatz für höhere Renten.

In Berlin stellte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) jetzt eine groß angelegte Kampagne zu dem Thema vor.

Frank Bsirske, Chef der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, will einen Paradigmenwechsel: "Nicht mehr die Rentenbeiträge müssen stabilisiert werden, sondern das Rentenniveau. Hier tickt keine demographische Zeitbombe, sondern eine soziale."

Die Steuerquelle sprudelt, Schäubles Kassen sind voll. Wäre jetzt der richtige Zeitpunkt für eine Rentenreform statt für Wahlgeschenke?

Frank Bsirske: Eine große Rentenreform ist absolut überfällig angesichts der Pläne zur weiteren Absenkung des gesetzlichen Rentenniveaus, eine Entwicklung, die für Millionen von Menschen mit der Drohung von Altersarmut einhergeht.

Dabei muss es auch um die Aufwertung von Renten im Niedriglohnbezug gehen, bei Zeiten der Arbeitslosigkeit oder prekärer Selbstständigkeit und um die Anerkennung von Kindererziehungszeiten.

Alles gesamtgesellschaftliche Aufgaben, die dann auch aus Steuermitteln zu finanzieren wären, ebenso wie die Mütterrente, die sachwidrig aus Beitragsmitteln finanziert wird. Da sehe ich die Bundesregierung in der Tat gefordert, mit deutlichen Maßnahmen zur Stabilisierung der Renten beizutragen.

Würde eine Anhebung des Rentenniveaus in Höhe etwa der Lebensleistungsrente (rund 150 Euro) ausreichen, um Renten auf Hartz-IV-Niveau zu verhindern?

Bsirske: Zunächst mal zielt unsere DGB-Kampagne darauf, das gesetzliche Rentenniveau zu stabilisieren, um es dann in einem zweiten Schritt anzuheben.

Im Oktober/November werden wir aus dem Bundesarbeitsministerium Zahlen für die Entwicklung zwischen 2030 und 2050 bekommen. Die wollen wir abwarten, um uns dann auch zur Frage des Sicherungsziels zu positionieren.

Sie wollen einen Kurswechsel? Bsirske: Ja, denn die bisherige Politik geht davon aus, dass die Beitragssätze stabil bleiben, die Renten aber nicht. Die werden immer niedriger.

Beispiel: Hätten wir heute schon das Richtung 2030 in Kauf genommene Rentenniveau von 43 Prozent, würde jemand, der im Schnitt 2500 Euro Bruttogehalt im Monat hatte, Netto vor Steuern nach 40 Arbeitsjahren, eine Rente von 805,20 Euro erhalten.

Ich glaube, da wird schon deutlich, was für eine Dramatik in dieser Entwicklung steckt. Denn Millionen verdienen weniger als 2.500 Euro Brutto.

Zum Vergleich: Das Grundsicherungsniveau liegt heute bei 774 Euro. Was da tickt, ist keine demographische, sondern eine soziale Zeitbombe - und die muss entschärft werden.

Dafür war ursprünglich mal die Riesterrente gedacht. Aber nun wissen wir, dass diese teilprivatisierte Alterssicherung zwar der Versicherungswirtschaft nutzt und den Arbeitgeberbeitrag schont, sich aber für den Versicherungsnehmer nicht lohnt.

Mal ganz davon abgesehen, dass die, die sie am dringendsten bräuchten, sie sich am wenigsten leisten können. Und obendrein auch noch die Erträge aus der Riesterrente angerechnet bekämen, wenn sie Grundsicherung im Alter in Anspruch nehmen müssten.

Das Ding ist wirklich gescheitert. Und deswegen brauchen wir einen Kurswechsel.

Man muss nach Jahrzehnte langer Arbeit Anspruch auf eine Rente haben, von der man anständig leben und in Würde altern kann.

Das ist jedenfalls bei der jetzigen Rentenpolitik nicht gewährleistet und das ist eine immense, fundamentale Herausforderung für die Legitimation des sozialen Sicherungssystems, aber auch für die Legitimation der Volksparteien. Und ich würde auch sagen der Gewerkschaften. Alle sind hier gefordert gegenzusteuern.

Würde dieser Paradigmenwechsel aber die Dramatik auf der anderen Seite nicht verschärfen? Müssten die jüngeren Generationen nicht mit ständig steigenden Beitragssätzen rechnen, um die demographische Bürde der alternden Gesellschaft schultern zu können?

Bsirske: Aus meiner Sicht hängt es von der Produktivitätsentwicklung in der Volkswirtschaft ab, Produktivität schlägt in diesem Fall Demographie. Wenn heute drei Erwerbstätige einen Rentner über die Umlage finanzieren und es in 30 Jahren zwei sind, die einen Rentner finanzieren, die zwei aber ein höheres Wertprodukt erzeugen, als die drei heute, dann lassen sich die Einkommen und die Renten steigern.

Wer das ignoriert, versucht die Menschen zu täuschen. Denn in Wirklichkeit verhält es sich so: Was die Gesellschaft an Werten produziert, steigt von Jahr zu Jahr, gleichzeitig wird uns aber zu erklären versucht, dass wir uns ein soziales Sicherungsniveau, das unter viel ärmeren Bedingungen als den heutigen entstanden ist, um den Preis des wirtschaftlichen Ruins nicht mehr leisten können.

Die Gesellschaft wird reicher und reicher, aber sie scheint ärmer zu werden. Diese Paradoxie akzeptieren wir nicht.

Mein Vater war Fliesenleger, musste mit Mitte 40 mit kaputten Hüften den Job aufgeben. Wie lange werden die Fliesenleger der Zukunft arbeiten müssen, um ein höheres Rentenniveau zu tragen?

Bsirske: Auch das korrespondiert mit der Entwicklung der Produktivität. Gucken Sie nach Österreich, wo das Sicherungsniveau bei vergleichbaren Lebensarbeitszeiten deutlich höher ist als hierzulande.

Dort werden 14 Renten pro Jahr ausgezahlt, so dass z.B. langjährig versicherte Männer eine Durchschnittsrente von 1820 Euro bekommen - in Deutschland umgerechnet 1050 EUR - bei einem Verrentungsalter, das in Österreich bei den Männern fünf Monate, bei den Frauen sogar zweieinhalb Jahre unter dem in Deutschland liegt.

Der Beitragssatz liegt dort bei 22,8%, wovon die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 10,25% und die Arbeitgeber 12,55% zahlen. Wir sehen also: Es geht auch anders als in Deutschland.

Auf ein Finanzierungsloch steuert nicht nur die Rentenkasse zu, sondern auch die Krankenkassen. Derzeit tragen die Versicherten die Zeche. Ein sinnvolles Opfer, um die Lohnzusatzkosten niedrig zu halten?

Bsirske: Es ist darauf ausgelegt, die Lohnkosten auf dem Rücken der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen niedrig zu halten. Sie sollen nun die Kosten des medizinischen Fortschritts über Zusatzbeiträge alleine tragen.

Die Arbeitgeber werden für alle künftigen Kostensteigerungen komplett aus der Verantwortung genommen. Das ist zutiefst ungerecht, und bedarf der Rückkehr zur paritätischen Finanzierung als Korrektur.

Für diesen Fall verlangen die Arbeitgeber diese auch für die Lohnfortzahlung. Ein sinnvoller Vorschlag? Bsirske: Das wäre dann nicht mehr als ein Nullsummenspiel.

Wieso ist der Widerstand von ver.di gegen CETA und TTIP zwingend? Freihandelsabkommen sollen Zehntausende neue Jobs bringen. Wie können Gewerkschaften dagegen aufbegehren?

Bsirske: Wir blicken in Sachen Handelsabkommen auf eine lange Geschichte vollmundiger Versprechen von Wachstums- und Arbeitsplatzeffekten zurück. Ganz ausgeprägt beim nordamerikanischen Freihandelsabkommen zwischen den USA, Mexiko und Kanada.

Nichts, aber buchstäblich gar nichts ist bei NAFTA auch nur annähernd eingetreten. Insofern muss man die süßen Verheißungen mit einem deutlichen Fragezeichen versehen.

Generell sind Gewerkschaften nicht dagegen, Zollschranken zu beseitigen oder technische Normen zu vereinheitlichen. Aber hier haben wir es mit einem neuen Typus von Freihandelsabkommen zu tun, der auf eine weitreichende Liberalisierung sogar der Daseinsvorsorge zielt. Sehr sensibel muss man sein, wenn solche Abkommen ausländischen Investoren Sonderrechte einräumen wollen.

Im Grunde ist eine doppelte Privilegierung das Ziel. Ausländischen Unternehmern wird mit CETA ein Sonderrechtsweg eröffnet, der keinem inländischen Unternehmen zur Verfügung steht. Und der bietet auch noch materielle Vorteile, weil bei Klagen wegen indirekter Enteignung der Marktwert plus die Gewinnerwartung entschädigt wird, während das Bundesverfassungsgericht eine Entschädigung unter Marktwert bereits für zulässig erklärt hat.

Zudem ist die Konstruktion der Schiedsgerichte sehr fragwürdig. Der Deutsche Richterbund urteilte, dass weder das Verfahren zur Ernennung der Richter noch deren Stellung den internationalen Anforderungen an die Unabhängigkeit der Justiz genügen.

So liegt die Frage, ob eine Klage zugelassen wird oder nicht, ausschließlich im Ermessen der Richter, deren Einkommen wiederum davon abhängt, dass ein Fall verhandelt wird. Denn diese Richter sollen laut CETA-Entwurf 2.000 Euro Grundlohn erhalten, ergänzt durch 3.000 Dollar Prämie pro Verhandlungstag.

So wie der CETA-Entwurf jetzt vorliegt, ist er nicht zustimmungsfähig. Unsere Haltung ist: Keine Privilegierung - Gleichbehandlung! Es würde völlig ausreichen, ausländischen Investoren die Behandlung zu garantieren, die auch inländische Investoren zu erwarten haben.

Wäre es nicht sinnvoller, Europa findet Kompromisse mit Kanada, das alle Normen internationaler Arbeitsorganisationen anerkennt, als sich später eine neue Welthandelsordnung von China diktieren lassen zu müssen?

Bsirske: Ja. Wir haben hier Nachverhandlungsbedarf. Wenn etwa der Investorenschutz auf die Gewährleistung der Inländerbehandlung reduziert würde, wenn die Schlupflöcher bei der Daseinsvorsorge geschlossen werden würden, hätten wir eine andere Ausgangslage.

Deshalb braucht es den Druck aus der Öffentlichkeit, um Nachbesserungen zu erreichen. Der Bundesverband Mittelständische Wirtschaft hat vorgerechnet, dass europäische Firmen mittlerweile 1,6 Billionen Euro in den USA investiert haben, während amerikanische 2,1 Billionen Euro in Europa angelegt haben - ohne dass es dazu eines besonderen Investorenschutzes bedurft hätte.

Wozu dann also eine zusätzliche Privilegierung ausländischer Investoren? Wenn man in Europa investiert, muss es reichen, wie ein Europäer behandelt zu werden. Nicht schlechter, aber auch nicht besser!

Angenommen, Ihnen gelingt am 17. September eine machtvolle Demo gegen CETA und TTIP, die die Sozialdemokraten zwei Tage später bewegt, die Abkommen in Gänze abzulehnen. Nehmen Sie in Kauf, Sigmar Gabriel schwer zu beschädigen?

Bsirske: Sigmar Gabriel ist davon überzeugt, dass das CETA-Abkommen gegenüber früheren Abkommen Fortschritte bringen würde. Da hat er Recht, aber sie reichen bei weitem nicht aus. Die unterschiedlichen Auffassungen muss man austragen.

Sollte man sich nach der Brexit-Erfahrung nicht hüten, komplexe internationale Abkommen zum Gegenstand politischer Leidenschaften zu machen?

Bsirske: Nein, ich finde, CETA und TTIP sind Abkommen, für die es sich lohnt zu ringen, zu argumentieren und zu streiten, denn sie haben weitreichende Konsequenzen.

Der vorliegende CETA-Entwurf ist nicht zustimmungsfähig. Deshalb fordern wir Nachverhandlungen. Sich dafür leidenschaftlich einzusetzen, ist allemal gerechtfertigt.

Das Interview führte

Joachim Zießler

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

(Weitere interessante Infos & News zum Thema Rente gibt es hier.)

Zitiert aus http://www.presseportal.de/pm/65442/3424968, Autor siehe obiger Artikel.

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Frank Bsirske zur Rentenreform:

Lüneburg (ots) - Die Gewerkschaften forcieren - ein Jahr vor der Bundestagswahl - ihren Einsatz für höhere Renten.

In Berlin stellte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) jetzt eine groß angelegte Kampagne zu dem Thema vor.

Frank Bsirske, Chef der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, will einen Paradigmenwechsel: "Nicht mehr die Rentenbeiträge müssen stabilisiert werden, sondern das Rentenniveau. Hier tickt keine demographische Zeitbombe, sondern eine soziale."

Die Steuerquelle sprudelt, Schäubles Kassen sind voll. Wäre jetzt der richtige Zeitpunkt für eine Rentenreform statt für Wahlgeschenke?

Frank Bsirske: Eine große Rentenreform ist absolut überfällig angesichts der Pläne zur weiteren Absenkung des gesetzlichen Rentenniveaus, eine Entwicklung, die für Millionen von Menschen mit der Drohung von Altersarmut einhergeht.

Dabei muss es auch um die Aufwertung von Renten im Niedriglohnbezug gehen, bei Zeiten der Arbeitslosigkeit oder prekärer Selbstständigkeit und um die Anerkennung von Kindererziehungszeiten.

Alles gesamtgesellschaftliche Aufgaben, die dann auch aus Steuermitteln zu finanzieren wären, ebenso wie die Mütterrente, die sachwidrig aus Beitragsmitteln finanziert wird. Da sehe ich die Bundesregierung in der Tat gefordert, mit deutlichen Maßnahmen zur Stabilisierung der Renten beizutragen.

Würde eine Anhebung des Rentenniveaus in Höhe etwa der Lebensleistungsrente (rund 150 Euro) ausreichen, um Renten auf Hartz-IV-Niveau zu verhindern?

Bsirske: Zunächst mal zielt unsere DGB-Kampagne darauf, das gesetzliche Rentenniveau zu stabilisieren, um es dann in einem zweiten Schritt anzuheben.

Im Oktober/November werden wir aus dem Bundesarbeitsministerium Zahlen für die Entwicklung zwischen 2030 und 2050 bekommen. Die wollen wir abwarten, um uns dann auch zur Frage des Sicherungsziels zu positionieren.

Sie wollen einen Kurswechsel? Bsirske: Ja, denn die bisherige Politik geht davon aus, dass die Beitragssätze stabil bleiben, die Renten aber nicht. Die werden immer niedriger.

Beispiel: Hätten wir heute schon das Richtung 2030 in Kauf genommene Rentenniveau von 43 Prozent, würde jemand, der im Schnitt 2500 Euro Bruttogehalt im Monat hatte, Netto vor Steuern nach 40 Arbeitsjahren, eine Rente von 805,20 Euro erhalten.

Ich glaube, da wird schon deutlich, was für eine Dramatik in dieser Entwicklung steckt. Denn Millionen verdienen weniger als 2.500 Euro Brutto.

Zum Vergleich: Das Grundsicherungsniveau liegt heute bei 774 Euro. Was da tickt, ist keine demographische, sondern eine soziale Zeitbombe - und die muss entschärft werden.

Dafür war ursprünglich mal die Riesterrente gedacht. Aber nun wissen wir, dass diese teilprivatisierte Alterssicherung zwar der Versicherungswirtschaft nutzt und den Arbeitgeberbeitrag schont, sich aber für den Versicherungsnehmer nicht lohnt.

Mal ganz davon abgesehen, dass die, die sie am dringendsten bräuchten, sie sich am wenigsten leisten können. Und obendrein auch noch die Erträge aus der Riesterrente angerechnet bekämen, wenn sie Grundsicherung im Alter in Anspruch nehmen müssten.

Das Ding ist wirklich gescheitert. Und deswegen brauchen wir einen Kurswechsel.

Man muss nach Jahrzehnte langer Arbeit Anspruch auf eine Rente haben, von der man anständig leben und in Würde altern kann.

Das ist jedenfalls bei der jetzigen Rentenpolitik nicht gewährleistet und das ist eine immense, fundamentale Herausforderung für die Legitimation des sozialen Sicherungssystems, aber auch für die Legitimation der Volksparteien. Und ich würde auch sagen der Gewerkschaften. Alle sind hier gefordert gegenzusteuern.

Würde dieser Paradigmenwechsel aber die Dramatik auf der anderen Seite nicht verschärfen? Müssten die jüngeren Generationen nicht mit ständig steigenden Beitragssätzen rechnen, um die demographische Bürde der alternden Gesellschaft schultern zu können?

Bsirske: Aus meiner Sicht hängt es von der Produktivitätsentwicklung in der Volkswirtschaft ab, Produktivität schlägt in diesem Fall Demographie. Wenn heute drei Erwerbstätige einen Rentner über die Umlage finanzieren und es in 30 Jahren zwei sind, die einen Rentner finanzieren, die zwei aber ein höheres Wertprodukt erzeugen, als die drei heute, dann lassen sich die Einkommen und die Renten steigern.

Wer das ignoriert, versucht die Menschen zu täuschen. Denn in Wirklichkeit verhält es sich so: Was die Gesellschaft an Werten produziert, steigt von Jahr zu Jahr, gleichzeitig wird uns aber zu erklären versucht, dass wir uns ein soziales Sicherungsniveau, das unter viel ärmeren Bedingungen als den heutigen entstanden ist, um den Preis des wirtschaftlichen Ruins nicht mehr leisten können.

Die Gesellschaft wird reicher und reicher, aber sie scheint ärmer zu werden. Diese Paradoxie akzeptieren wir nicht.

Mein Vater war Fliesenleger, musste mit Mitte 40 mit kaputten Hüften den Job aufgeben. Wie lange werden die Fliesenleger der Zukunft arbeiten müssen, um ein höheres Rentenniveau zu tragen?

Bsirske: Auch das korrespondiert mit der Entwicklung der Produktivität. Gucken Sie nach Österreich, wo das Sicherungsniveau bei vergleichbaren Lebensarbeitszeiten deutlich höher ist als hierzulande.

Dort werden 14 Renten pro Jahr ausgezahlt, so dass z.B. langjährig versicherte Männer eine Durchschnittsrente von 1820 Euro bekommen - in Deutschland umgerechnet 1050 EUR - bei einem Verrentungsalter, das in Österreich bei den Männern fünf Monate, bei den Frauen sogar zweieinhalb Jahre unter dem in Deutschland liegt.

Der Beitragssatz liegt dort bei 22,8%, wovon die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 10,25% und die Arbeitgeber 12,55% zahlen. Wir sehen also: Es geht auch anders als in Deutschland.

Auf ein Finanzierungsloch steuert nicht nur die Rentenkasse zu, sondern auch die Krankenkassen. Derzeit tragen die Versicherten die Zeche. Ein sinnvolles Opfer, um die Lohnzusatzkosten niedrig zu halten?

Bsirske: Es ist darauf ausgelegt, die Lohnkosten auf dem Rücken der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen niedrig zu halten. Sie sollen nun die Kosten des medizinischen Fortschritts über Zusatzbeiträge alleine tragen.

Die Arbeitgeber werden für alle künftigen Kostensteigerungen komplett aus der Verantwortung genommen. Das ist zutiefst ungerecht, und bedarf der Rückkehr zur paritätischen Finanzierung als Korrektur.

Für diesen Fall verlangen die Arbeitgeber diese auch für die Lohnfortzahlung. Ein sinnvoller Vorschlag? Bsirske: Das wäre dann nicht mehr als ein Nullsummenspiel.

Wieso ist der Widerstand von ver.di gegen CETA und TTIP zwingend? Freihandelsabkommen sollen Zehntausende neue Jobs bringen. Wie können Gewerkschaften dagegen aufbegehren?

Bsirske: Wir blicken in Sachen Handelsabkommen auf eine lange Geschichte vollmundiger Versprechen von Wachstums- und Arbeitsplatzeffekten zurück. Ganz ausgeprägt beim nordamerikanischen Freihandelsabkommen zwischen den USA, Mexiko und Kanada.

Nichts, aber buchstäblich gar nichts ist bei NAFTA auch nur annähernd eingetreten. Insofern muss man die süßen Verheißungen mit einem deutlichen Fragezeichen versehen.

Generell sind Gewerkschaften nicht dagegen, Zollschranken zu beseitigen oder technische Normen zu vereinheitlichen. Aber hier haben wir es mit einem neuen Typus von Freihandelsabkommen zu tun, der auf eine weitreichende Liberalisierung sogar der Daseinsvorsorge zielt. Sehr sensibel muss man sein, wenn solche Abkommen ausländischen Investoren Sonderrechte einräumen wollen.

Im Grunde ist eine doppelte Privilegierung das Ziel. Ausländischen Unternehmern wird mit CETA ein Sonderrechtsweg eröffnet, der keinem inländischen Unternehmen zur Verfügung steht. Und der bietet auch noch materielle Vorteile, weil bei Klagen wegen indirekter Enteignung der Marktwert plus die Gewinnerwartung entschädigt wird, während das Bundesverfassungsgericht eine Entschädigung unter Marktwert bereits für zulässig erklärt hat.

Zudem ist die Konstruktion der Schiedsgerichte sehr fragwürdig. Der Deutsche Richterbund urteilte, dass weder das Verfahren zur Ernennung der Richter noch deren Stellung den internationalen Anforderungen an die Unabhängigkeit der Justiz genügen.

So liegt die Frage, ob eine Klage zugelassen wird oder nicht, ausschließlich im Ermessen der Richter, deren Einkommen wiederum davon abhängt, dass ein Fall verhandelt wird. Denn diese Richter sollen laut CETA-Entwurf 2.000 Euro Grundlohn erhalten, ergänzt durch 3.000 Dollar Prämie pro Verhandlungstag.

So wie der CETA-Entwurf jetzt vorliegt, ist er nicht zustimmungsfähig. Unsere Haltung ist: Keine Privilegierung - Gleichbehandlung! Es würde völlig ausreichen, ausländischen Investoren die Behandlung zu garantieren, die auch inländische Investoren zu erwarten haben.

Wäre es nicht sinnvoller, Europa findet Kompromisse mit Kanada, das alle Normen internationaler Arbeitsorganisationen anerkennt, als sich später eine neue Welthandelsordnung von China diktieren lassen zu müssen?

Bsirske: Ja. Wir haben hier Nachverhandlungsbedarf. Wenn etwa der Investorenschutz auf die Gewährleistung der Inländerbehandlung reduziert würde, wenn die Schlupflöcher bei der Daseinsvorsorge geschlossen werden würden, hätten wir eine andere Ausgangslage.

Deshalb braucht es den Druck aus der Öffentlichkeit, um Nachbesserungen zu erreichen. Der Bundesverband Mittelständische Wirtschaft hat vorgerechnet, dass europäische Firmen mittlerweile 1,6 Billionen Euro in den USA investiert haben, während amerikanische 2,1 Billionen Euro in Europa angelegt haben - ohne dass es dazu eines besonderen Investorenschutzes bedurft hätte.

Wozu dann also eine zusätzliche Privilegierung ausländischer Investoren? Wenn man in Europa investiert, muss es reichen, wie ein Europäer behandelt zu werden. Nicht schlechter, aber auch nicht besser!

Angenommen, Ihnen gelingt am 17. September eine machtvolle Demo gegen CETA und TTIP, die die Sozialdemokraten zwei Tage später bewegt, die Abkommen in Gänze abzulehnen. Nehmen Sie in Kauf, Sigmar Gabriel schwer zu beschädigen?

Bsirske: Sigmar Gabriel ist davon überzeugt, dass das CETA-Abkommen gegenüber früheren Abkommen Fortschritte bringen würde. Da hat er Recht, aber sie reichen bei weitem nicht aus. Die unterschiedlichen Auffassungen muss man austragen.

Sollte man sich nach der Brexit-Erfahrung nicht hüten, komplexe internationale Abkommen zum Gegenstand politischer Leidenschaften zu machen?

Bsirske: Nein, ich finde, CETA und TTIP sind Abkommen, für die es sich lohnt zu ringen, zu argumentieren und zu streiten, denn sie haben weitreichende Konsequenzen.

Der vorliegende CETA-Entwurf ist nicht zustimmungsfähig. Deshalb fordern wir Nachverhandlungen. Sich dafür leidenschaftlich einzusetzen, ist allemal gerechtfertigt.

Das Interview führte

Joachim Zießler

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Telefon: +49 (04131) 740-282
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